Foreign Language Syndrome: Niederländer spricht nach Knie-OP nur noch Englisch

Ein junger Niederländer wurde nach einer Knie-OP unter Narkose in die Klinik für Psychiatrie der Universität von Maastricht eingeliefert, weil er seine Muttersprache nicht mehr verstand und sprach und nur noch auf Englisch kommunizierte. Der 17 Jahre alte Gymnasiast hatte keine psychiatrischen oder andere Vorerkrankungen  – abgesehen von einem gut kontrollierten Faktor-V-Leiden – und war zum ersten Mal operiert und narkotisiert worden. Auch seine psychiatrische Anamnese war unauffällig. Die Muttersprache des Patienten war Niederländisch, Englisch hatte er in der Schule gelernt. Er hatte keine Verwandten in einem englischsprachigen Land und war in letzter Zeit in keinem englischsprachigen Land gewesen. Die Anästhesie war mit verschiedenen Medikamenten eingeleitet worden. Nach der OP wurde der verwirrte Patient in den Aufwachraum gebracht, wo eine Krankenschwester bemerkte, dass er Englisch sprach und mehrfach erklärte, sich in den USA zu befinden. Seine Muttersprache hingegen konnte er auch einige Stunden postoperativ weder sprechen noch verstehen. 18 Stunden nach dem Eingriff  beantwortete er Fragen nur auf Englisch, mit klar niederländischem Akzent. In seiner Muttersprache gab er nur kurze Antworten, was ihm schwerzufallen schien. Seine Konzentration schien nicht gestört zu sein, auch wurden während des Gesprächs wurden keine Verwirrung oder Halluzinationen festgestellt. Seine Intelligenz wurde als durchschnittlich eingeschätzt. Hinweise auf eine Denkstörung gab es nicht.

Etwa 24 Stunden nach der OP verstand und sprach der junge Mann wieder Niederländisch

Interessanterweise habe er, so die Autoren, angegeben, sich bewusst gewesen zu sein, in der unmittelbaren postoperativen Phase nur Englisch gesprochen und verstanden zu haben. Die neurologische Gesamtuntersuchung war unauffällig; der Patient wurde daher einen Tag später aus dem Krankenhaus entlassen. Drei Wochen später berichtete er bei einem Folgetermin in der psychiatrischen Ambulanz, keine Schwierigkeiten beim Gebrauch seiner Muttersprache zu haben. Allerdings gab er an, dass seine Konzentrationsfähigkeit nachgelassen habe und er sich Informationen schlechter als zuvor merken könne. Diese Symptome sollen dann im weiteren Verlauf besser geworden sein. Fast ein Jahr nach dem Eingriff wurde eine neuropsychologische Untersuchung wegen subjektiver Gedächtnisbeschwerden durchgeführt. Seine Leistungen im Test waren insgesamt durchschnittlich bis sehr gut bei hoher Leistungsmotivation. Kurze Zahlen- und Wortreihen konnte er sich jedoch nur unterdurchschnittlich merken. Bei der Prüfung des Wortschatzes und der visuellen Raumwahrnehmung schnitt er gut ab. Die Untersuchungen ergaben keinen Hinweis auf eine kognitive Beeinträchtigung. Die Diagnose lautete: „foreign language syndrome“ (FLS).
Eine Literaturrecherche habe insgesamt acht Berichte zum sogenannten FLS ergeben, berichten die Autoren. Dabei handelte es sich überwiegend um ältere Menschen, sechs der acht FLS-Patienten waren über 50 Jahre alt, ein Patient war 28; in einem Fall war das Alter unbekannt. Alle Patienten waren männlich. Fentanyl, Midazolam und Propofol waren die am häufigsten genannten Anästhetika. Die genaue Pathophysiologie des FLS sei unklar. Nicht geklärt sei vor allem, ob es sich um ein eigenständiges Syndrom oder um einen Phänotyp eines anderen Syndroms oder einer anderen Störung handelt.


Salamah HKZ, Mortier E, Wassenberg R, Strik JJMH (2022) Lost in another language: a case report. J Med Case Rep 16: 25