Urteil: Merkzeichen „Blind“ im Schwerbehindertenausweis aufgrund Hirnschädigung ohne Störung des Sehapparates

Wie das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Ende November 2017 entschied, ist die Beeinträchtigung des Sehorgans nicht zwingend Voraussetzung für die Eintragung des Merkzeichens „Blind“ (Bl) im Schwerbehindertenausweis (L 13 SB 71/17).

Die Klägerin, ein zehnjähriges Mädchen aus dem Landkreis Leer, leidet aufgrund einer Stoffwechselstörung an einer schweren Hirnschädigung und täglich wiederkehrenden epileptischen Krampfanfällen. Nach Aussage des Kinderarztes reagiert das Mädchen nicht auf optische Reize und hält die Augen überwiegend geschlossen. Beim Aufreißen der Augen verdrehe sie die Pupillen unkontrolliert nach oben – visuelle Sinneseindrücke könne sie offenbar nicht verarbeiten. Eine Untersuchung mittels einer sogenannten Blitzbrille zur Messung der Verarbeitung optischer Reize ergab eine ausgeprägte Funktionsstörung des Gehirns. Da keine Störung des Sehapparates, sondern eine Störung des Erkennens und der Verarbeitung der optischen Sinneseindrücke im Gehirn vorlag, lehnte das Landratsamt die Aufnahme des Merkzeichen „Bl“ auf dem Schwerbehindertenausweis des Mädchens ab. Dagegen klagte das Mädchen vor dem Landessozialgericht.

Das Gericht gab ihr Recht und verwies auf ein Urteil des Bundessozialgerichtes (BSG) vom August 2015. Die Richter des BSG hatten hier entschieden, dass eine spezifische Sehstörung nicht die Voraussetzung für eine Anerkennung einer Person als blind sei. Es sei ausreichend, dass ein unter der Blindheitsschwelle liegendes Sehvermögen objektiv festgestellt sei – die Ursache für das schlechte Sehvermögen sei unerheblich. Vielmehr sei die Gleichbehandlung der unterschiedlichen Ursachen durch den allgemeinen Gleichheitssatz des Grundgesetzes und die UN-Behindertenrechtskonvention geboten: Sehstörungen, die ihre Ursache im Gehirn haben, sind Sehstörungen gleichzustellen, die in einer Beeinträchtigung des Sehorganes begründet sind.