Schwache visuelle Reize: Verarbeitung morgens und abends besser

a) In den Gehirnarealen nimmt die Varianz der Ruheaktivität während der Dämmerung signifikant ab. Die Varianz beschreibt die Veränderung der Hirnaktivität im Zeitverlauf einer Messung. (1) visuelle, (2–4) somatosensorische und (5) auditorische Hirnrinde. b) Die Varianz der Ruheaktivität – hier beispielhaft im visuellen Kortex – ist um 8 und 20 Uhr im Vergleich zu den anderen Tageszeiten reduziert. c) Parallel zur Reduktion der Varianz der Ruheaktivität verbessert sich das Erkennen schwacher visueller Reize im Dämmerlicht bei gleichen Beleuchtungsbedingungen. Um 8 und 20 Uhr übersehen die Probanden weniger visuelle Reize.

Neurowissenschaftler der Goethe-Universität in Frankfurt fanden heraus, dass schwache visuelle Reize während der Dämmerung besser durch das Gehirn verarbeitet werden als mittags, wenn es hell ist. So fährt das menschliche Gehirn – gesteuert durch die innere Uhr – vor Einbruch der Dämmerung die Ruheaktivität in der Sehrinde herunter. Auch schwache Sehreize können auf diese Weise noch wahrgenommen werden und gehen nicht im „Grundrauschen“ des Gehirns unter. Im Laufe der Evolution hat sich das visuelle System demnach nicht nur optimal an die Beleuchtungsbedingungen am Tag angepasst, sondern auch eine Strategie für die Dämmerung entwickelt, die einen Überlebensvorteil darstellt: Vor der Industrialisierung war die Dämmerung eine gefährliche Zeit, in der nachtaktive Raubtiere unterwegs waren. 

„Während das Uhrwerk der inneren Uhr bereits gut untersucht ist, war bisher nicht bekannt, mithilfe welches Mechanismus die visuelle Wahrnehmung zu Zeiten erwartbar schlechter Signalqualität optimiert wird“, so PD Dr. Christian Kell vom „Brain Imaging Center“ der Goethe-Universität. Mittels Kernspintomographie-Studie wurden 14 gesunde Probanden dahingehend untersucht, wie das Gehirn an sechs unterschiedlichen Tageszeiten auf Reizsignale reagiert. Die Wahrnehmung dieser Signale wurde mit der Ruheaktivität des Gehirns verglichen. Es konnte gezeigt werden, dass sich während der Dämmerung die Signale nicht nur in den visuellen, sondern auch in den auditorischen und somatosensorischen Hirnarealen verstärken, indem das Gehirn die Ruheaktivität dieser Areale herunterreguliert.

Cordani L et al (2018) Endogenous modulation of human visual cortex activity improves perception at twilight. Nature communications 9: 1274